„Was hast Du über Menschen gelernt?“ fragte Matt Griggs auf meiner diesjährigen Nature of Success Fortbildung in den Malediven. Es ist eine der Fragen, über die wir nach den täglichen Workshops kontemplieren sollen. Was für eine Frage für mich, Diplom-Psychologin, 30 Jahre Tätigkeit als Beraterin, 25 Jahre als Coach, 15 Jahren Meditation, wo ich mich doch mit fast nichts lieber beschäftige als mit Menschen.

Fragen wie

  • Wie ticken wir Menschen?
  • Was treibt uns an?
  • Warum verhalten wir uns manchmal so ungünstig und unlogisch?
  • Wie können wir lernen und uns entwickeln?
  • Wer bin ich?

faszinieren mich. Ich bin also bekennender Menschen-Nerd. Das Schöne daran ist, mir wird nicht langweilig. Niemals. Es gibt ja genügend Studienobjekte, mich eingeschlossen. Was ich über Menschen gelernt habe? Ein Tsunami an Gedanken rast durch mein Gehirn.

Lernen von Menschen, die weiter sind als man selbst

Es scheint eine sehr gute Frage zu sein, denn ich habe keine Antwort darauf. Hier gibt es also etwas für mich zu lernen. Genau das ist der Zweck meiner Reise: Über Menschen lernen und sie besser verstehen, in der Hoffnung, dass es die Qualität meiner Arbeit erhöht. Sicher habe ich bereits eine Menge Wissen über Menschen. Was jedoch habe ich gelernt und was verstanden? Was tun, wenn man etwas nicht versteht? Jemanden fragen, der weiter ist als man selbst.

Also bin ich gespannt, was Matt über Menschen gelernt hat. Seine Erfahrung, Klarheit und Leichtigkeit überzeugen mich immer wieder. Seine Erkenntnis über Menschen: „Everybody wants to be cared about, nobody wants to be interfered.” (Jeder möchte, dass man ihn gern mag, sich um ihn kümmert, niemand, dass man sich einmischt). Das muss ich erst mal wirken lassen. Mir scheint, das gilt auch für die anderen Kursteilnehmer.

Smalltalk – eine leichte Übung

Die Gruppe besteht aus Geschäftsleuten aus drei Kontinenten aus unterschiedlichsten Branchen: Bau- bzw. Immobilienbranche, Finanzen, Film, IT-Sicherheit und Digitale Werbung etc. Meine Erfahrung mit Menschen ist normalerweise: sie lieben es, von sich und ihren Erfolgen zu erzählen. Selbst in dreistündigen Geschäftsessen gebe ich manchmal kein Bit an Information von mir Preis. Ich mag das, denn ich stehe ungern als Person im Mittelpunkt. Zudem habe ich während meiner Coachings und Workshops oft selbst hohe Redeanteile. Da tut eine Sprechpause beim Essen gut. Sie erleichtert auch die Nahrungsaufnahme. Außerdem lerne ich immer mehr, wenn ich zuhöre, als wenn ich spreche. Gerne lenke ich dabei die Gespräche durch Fragen in eine Richtung, die mich interessiert. Generell bin ich neugierig, aber nicht so sehr im Hinblick auf Uhren, Rennräder oder Autos. Das kann ich: Gespräche bei Tisch am Laufen halten und machen, dass andere sich dabei wohl fühlen. Fragen und Kauen, bin ich echt gut drin. Small-talk ist eine leichte Übung für mich.

Sendepause für ein harmonisches Miteinander

Auf dem Boot lerne ich was Neues. Reden ist die niedrigste Form von Kommunikation, behauptet Matt. Hier sieht man oft Menschen, die meditieren oder sich Notizen machen. Wenn jemand für sich sein möchte, wird das respektiert. Gleichzeitig wird oft gefragt: „Wie fühlst Du dich?“ „Wie geht es Dir?“ Meine Mitreisenden zeigen dabei echtes Interesse am Gegenüber. Sie hören zu, ohne Antworten mit eigenen Geschichten toppen oder ins Verhältnis zu sich selbst setzen zu müssen. Stattdessen nicken, lächeln, und den anderen sein lassen. Alternativ Lachen, gerne über sich selbst. In den 10 Tagen an Board fällt kein böses Wort. Es scheint sich positiv auszuwirken, dass jeder sich in Stille um sich und seine Themen kümmert. Macht dies unser Boot zu dem harmonischsten Boot auf dem Planeten? Gut möglich. Als ich nach einem Surf auf dem rauhen Boden an Deck des Beiboots sitze und Alex mir ungefragt ein Handtuch reicht, kommen mir fast die Tränen. Everybody wants to be cared about. Ich wohl auch. Matt ist schon gut, oder?

Er fragt in einem Workshop: „Wieviel harmonischer wäre die Menschheit, wenn jeder nur reden würde, wenn er einen echten Mehrwert beitragen kann?“ Vielleicht verbirgt sich dahinter irgendwie die Formel für den Weltfrieden? Aber so weit muss man gar nicht gehen. Nur mal so ins Blaue gefragt: Wieviel effizienter wären Besprechungen, wieviel kürzer unserer Arbeitstage, wieviel harmonischer das Miteinander, wenn wir nicht alle permanent senden würden?

Leiden am Leistungsprinzip

Apropos blau. Kritische Geister könnten nun sagen, harmonisch und glücklich zu sein, ist ja kinderleicht, wenn man auf einem Boot in den Malediven schippert, umgeben von den fantastischsten Blautönen, die Mutter Erde zu bieten hat und drei mal täglich köstliches Essen serviert bekommt. Das erstaunliche an uns Menschen ist aber, dass wir auch in einer Postkartenumgebung hemmungslos leiden können. Auch wenn alles gut ist, findet unser Ego Wege, damit wir uns schlecht fühlen. Allen Mitreisenden scheinen deren Egos eingeflüstert zu haben, sie seien als vollwertige Mitglieder der Menschengemeinschaft erst akzeptiert, wenn sie „gut“ surfen können. Gut ist ungefähr das Level unseres Lehrers, des ikonischen Profi-Surfers Taylor Knox. Leistungsprinzip lautet wohl der Fachbegriff dafür. Lasst die Spiele beginnen!

Mein Ego, will nur mein Bestes – darum bitte nicht einmischen!

Die meisten Surfer auf dem Boot erleiden folglich im Laufe der 10 Tage eine mehr oder minder große Surf-Krise. Meine ist an Tag 4 als ich eine Welle ungünstig erwische und statt entlang der Welle zu surfen geradeaus in das Riff schlittere. Ich reiße mir ein Knie auf und wate, mein Board am Körper balancierend über das Riff. Während ich eine Welle nach der anderen auf den Kopf bekomme, werde ich unsicher, ob ich eher meinen Körper oder mein Board vor weiteren Blessuren schützen soll. Dabei schimpfe ich innerlich: „Ich lerne das nie“, „Ich bin zu alt für den Scheiß“. Bei der nächsten Surfsession erwische ich keine einzige Welle. Meine Stimmung sinkt auf den Nullpunkt.

Beim Workshop am Nachmittag spüre ich einen Kloß im Hals und teile meine Gedanken. Taylor versucht, mir eine andere Perspektive aufzuzeigen. „Wie viele Frauen kennst Du, die in Deutschland leben, hunderte Kilometer entfernt vom Meer, die mit 47 zu surfen angefangen haben und mit 54 das können, was Du jetzt kannst? Vielleicht bist Du ein bisschen hart zu Dir?“ Gerade als die Worte anfangen, zu mir durchzudringen, erhöht mein Ego die Dezibel in meinem Kopf. „Der sagt das nur aus Mitleid. Der meint das nicht so! Glaub dem kein Wort!“ Mein Ego lehnt Komplimente grundsätzlich ab. Es will das Beste für mich. Ratschläge, selbst von ikonischen Surf-Legenden, gehören offensichtlich nicht dazu. Informationen, die dafür sprechen könnten, dass ich doch ein kleines bißchen surfen kann und es viel Freude in mein Leben bringt, blendet es konsequent aus. Wenn mein Ego in Fahrt ist, kommt nicht mal ein Videobeweis dagegen an. Es bekommt aufgrund seiner Lautstärke meine volle Aufmerksamkeit. So stecken wir beide in einer Mischung aus Selbstmitleid, Verzweiflung und Frustration fest. Der Kloß in meinem Hals schwillt an und schmeckt irgendwie salzig. Und wagt es ja nicht, Euch einzumischen – Es ist Laras Leben und leiden gehört einfach dazu!

Angstbefülltes Gepäck von Board werfen.

Am nächsten Morgen meditiere ich an Deck. Nach Jahren der Kelee Mediation weiß ich: Alles, was sich nicht gut anfühlt, bin nicht ich. Der Salzkloß löst sich auf. Nach fünf Minuten Meditation fühle ich mich leicht und ruhig. Ich öffne die Augen. Die aufgehende Sonne taucht alles in einen Farbenrausch und deckt dabei das ganze Regenbogenspektrum ab. Ich sitze mittendrin und habe einen 360° Blick auf ein Meer von Farben. Ich verschmelze mit der Natur und finde zu mir selbst. Meinem Ego bleibt nichts anderes übrig, als sich ganz leise zu stellen. Was war noch mal gestern mein Problem?

In der nächsten Surfsession gelingt mir gefühlt alles. Ich fliege so schnell wie noch nie über die Welle und schaffe einen richtig guten Bottom Turn. Ich fühle: ich kann das, ich kann surfen! Ich mache das, so gut ich es heute kann. Vielleicht lerne ich morgen etwas hinzu. Vielleicht. Es ist möglich.

Was habe ich über Menschen gelernt? Sie sind eine faszinierende Spezies. Sie sind liebevoll und fürsorglich. Sie können sich und andere unfassbar verletzen und leiden lassen. Das hat etwas damit zu tun, dass sie altes, angstbefülltes Gepäck mit sich herumschleppen. Die Angst, nicht gut genug zu sein, haben leistungsorientierte Menschen standardmäßig im Gepäck. Sie blockiert bei der Leistungserbringung 100% meiner Coachees und nach wie vor mich auch. Wie schön, ein bisschen davon über Board geworfen zu haben.  

photo sunrise by David Palmer
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