„Wie lautet Deine Lebensphilosophie“, fragte mich Matt Griggs das erste Mal 2019 im Rahmen meiner Fortbildung. Nach meiner Kelee Meditation kontemplierte ich darüber und hatte auf einmal ein Bild im Kopf: das eines Frühstücksbuffets. Es war mir aufgefallen, dass Menschen ihre Frühstücksteller sehr unterschiedlich bestücken. Auf einem liegt ein Croissant mit Marmelade, auf einem anderen Eier-mit-Speck. Ein dritter Mitreisender hat eine Schüssel mit Obstsalat und Joghurt vor sich stehen. Von ein und demselben Buffet holen sich Menschen sehr unterschiedliche Dinge. Wie im Leben.

Welcher Frühstückstyp bin ich? – und was sagt das über meine Führungsqualitäten aus?

Und wie ist das eigentlich? Einmal Schinkensemmel immer Schinkensemmel? Gibt es so etwas wie verschiedene Frühstückstypen? Falls ja, ist der Eier-Speck-Typ eher für eine Führungsrolle geeignet als der Müsli-Typ oder umgekehrt? Sollten Sie sich jemals fragen, worüber Psychologen beim Frühstück nachdenken: so etwas könnte das sein. Die Frage, was ich selbst für ein Frühstückstyp bin, kann ich nur so beantworten: Gar keiner! Das fängt schon beim Getränk an. Sehr häufig trinke ich Kaffee, manchmal habe ich Lust auf Tee. Mal darf es ein Spiegelei sein, am nächsten Tag ein Obstsalat. Eine 21-jährige Influencerin, die Schminktipps auf Instagram posted, würde in diesem Fall wohl als Lebensphilosophie formulieren: „Erfinde Dich jeden Tag neu!“ Nun ist es nicht mein Job, Follower zu generieren, um von einem Kosmetikkonzern gesponsert zu werden. „Sich jeden Tag neu erfinden“ passt für mich also nicht ganz. Möchte ich auch nicht, meist fühle ich mich auch ohne Make-up ganz wohl in meiner Haut. Wir können aber festhalten: das mit den Frühstückstypologien ist wirres Zeug.

Schubladen – ein guter Ort für Socken

Dennoch möchte ich nicht ausschließen, dass genau in diesem Moment ein findiger Berater einen Fragebogen entwickelt, um aufbauend auf Frühstücksgewohnheiten Führungsqualitäten zu diagnostizieren. Es gibt nichts, was es nicht gibt und einen riesigen Markt für Typen-Fragenbögen. Menschen lieben Tools, mit denen sie Menschen und Schubladen einsortieren können. Ich persönlich würde so einen Fragebogen aus Neugierde auch ausfüllen. Es käme dabei vermutlich etwas ´raus wie: Sie sind der rot-gelbe Typ! Das Ergebnis würde mich amüsieren und gäbe Stoff für einen Plausch bei einem gemeinsamen Frühstück – mehr aber auch nicht. So scheint mir das bei vielen dieser Tools zu sein: Typologien sind unterhaltsam, Praxisrelevanz haben sie so gut wie nie. Schubladen sind gute Orte für Socken, für das Entwickeln von Menschen halte ich sie nur bedingt geeignet. Daher habe ich keinen Typenfragebogen in meinen Coachings im Einsatz. Aber zurück zur Lebensphilosophie.

“The show must go on!”

Vielleicht eignet sich das Bild des Frühstückbuffets nicht für das Entwickeln meines Lebensmottos? So eine große Rolle nimmt das Essen in meinem Leben jetzt auch nicht ein. Ich esse alles, worauf ich Lust habe, aber in Maßen. Schließlich ist es als Berater und Coach auch meine Aufgabe, die Veranstaltung am Laufen zu halten. Ein genüssliches Zurücklehnen im Suppenkoma (in Österreich: Schnitzeltief) kann ich mir da nicht erlauben. Wie wäre es mit „The show must go on“? Nee. Ich kann nicht singen, und wollte nie ein dramatisches und kurzes Leben führen wie Freddy Mercury. Er starb im Alter von 45 Jahren. „Alles in Maßen“ war sicher nicht seine Lebensphilosophie und auch für mich hört sie sich nicht stimmig an.

Das Bewusstsein bestimmt das Sein

Ich bin aber der Überzeugung, wir alle haben eine Lebensphilosophie. Vielleicht sind wir uns ihrer nur nicht bewusst. Matt Griggs sagt: wenn wir uns etwas nicht bewusst sind, haben wir es nicht verstanden. Seine Lebensphilosophie lautet im übrigen: “Live with love in your heart, adventure in your soul and purpose in your step.“ Das ist so stimmig mit dem liebevollen, mutigen und klaren Menschen, den ich in Matt sehe. Anscheinend hat unsere Lebensphilosophie einen Einfluss darauf, wie wir arbeiten, führen und leben. Sie ist nah dran an der Frage: Wer bin ich? Wäre es also nicht sinnvoll, hier etwas Licht ins Dunkel zu bringen? 2022 tat ich das mit einigen Kunden und manch einer konnte sofort seine Lebensphilosophie verbalisieren:

  • „Am Ende siegt immer das Gute!“ nannte jemand, den ich ob seiner Größe und seiner Entspanntheit überaus schätze.
  • „Leben und leben lassen“ lautet die Lebensphilosophie eines mir gut bekannten Freigeistes, den ich für seine Toleranz und Offenheit bewundere.

Vielleicht bestimmt am Ende doch das Bewusstsein das Sein?

Kurskorrekturen im Sein

Kunden, die sich ähnlich schwertaten wie ich, eine Lebensphilosophie zu formulieren, erlebten folgende Frage als hilfreich: „Was ist ein Rat, den Du am Ende Deines Lebens Deinen Kindern mitgeben würdest?“

Ein Kunde sagte daraufhin: „Ich habe immer nach der Maxime gelebt: „Unter Druck werden Diamanten gemacht“. Das würde ich meinen Kindern aber nie empfehlen. Denen würde ich sagen: „Nutze den Tag!““ Ich fragte Herrn X, wie es wäre, wenn er diesen Rat selbst mehr beherzigen würde. Diese Frage führte zu einem sehr bewegenden Moment im Coaching.

Das ist ein weiterer Mehrwert bei der Auseinandersetzung mit der eigenen Lebensphilosophie: wenn wir uns ihrer gewahr werden, können wir feststellen, ob sie für oder gegen uns arbeitet. Mit dieser Erkenntnis kann man sie weiterentwickeln und Kurskorrekturen im Sein vornehmen.

4000 Wochen ja und nein sagen dürfen

Auch ich bin meiner Lebensphilosophie in den letzten Monaten etwas nähergekommen: Inspiriert haben mich dabei zwei Autoren:

  1. Adam Grant, der Autor von Think Again „Die Kraft des flexiblen Denkens“. In seinem Beststeller beschreibt er, warum es uns manchmal so schwerfällt, unsere Meinung zu ändern. Das Ändern der Meinung bei neuer Informationslage sei aber der Königsweg, um zu besseren Entscheidungen zu kommen. In einem Podcast antwortete Grant auf die Frage, was man bei Entscheidungen beherzigen sollte: „Yes is a commitment. No is a choice.“ Das gefiel mir! Wenn ich „Nein“ zu dem Croissant am Frühstücksbuffet sage, kann ich immer noch unter all den anderen Köstlichkeiten wählen. Sage ich „Ja“ zum Croissant, schließe ich den Rest des Angebots auf dem Buffet aus. Der Punkt ist dann, zur Entscheidung zu stehen, statt darüber zu grübeln, ob nicht der Obstsalat oder das Spiegelei die bessere Wahl gewesen wären.
  2. Oliver Burkeman, der Autor von 4000 Wochen – Das Leben ist zu kurz für Zeitmanagement, der mit vielen Mythen zum Zeitmanagement Schluss macht. Er empfiehlt, nicht mehr zu versuchen, mit schlechten Gewissen unsere vermeintlich mangelnde Effizienz zu optimieren. Stattdessen sollten wir uns unserer Endlichkeit bewusstwerden. Ständig haben wir Angst etwas zu verpassen (= FOMO: Fear of missing out), aber niemand ist in der Lage, ein ganzes Frühstücksbuffet zu verspeisen. Tatsächlich verpassen wir immer das meiste, was auf diesem Planeten geschieht, in den ca. 4000 Wochen, die wir im Schnitt in unserem Leben haben – im Schnitt. Wieviel Zeit wir individuell haben, weiß kein Mensch. Das wird einem spätestens dann bewusst, wenn z.B. ein 42-jähriger von uns geht. Was würde dieser Mensch dafür geben, sich noch einmal entscheiden zu dürfen, ob er ein Buch lesen, noch eine Folge auf Netflix schauen oder gleich ins Bett gehen soll? Wir haben keinen Anspruch auf 4000 Wochen Lebenszeit. Vor diesem Hintergrund ist jeder Moment, den wir erleben dürfen, ein Geschenk, dem wir mit Lebensfreude begegnen können (JOMO: Joy of missing out). Jede Entscheidung, die wir treffen können und dürfen, wird bei dieser Betrachtungsweise „zu einer Gelegenheit, aus einem verlockenden Menü von Möglichkeiten zu wählen“ (S.83). Jetzt ist nur noch die Frage, wofür ich mich entscheide.

Taylor Knox verlieh mir auf der Fortbildung 2022 das gelbe Trikot, mir “the woman who showed all the men what commitment is”. Meine Lebensphilosophie, die ich auf der Reise formulierte, lautet: „Yes is a commitment. No is a choice. Choose wisely.“

Sollte die Maxime, weise Entscheidungen zu treffen, irgendwann nicht mehr passend für mich sein, kann ich neu entscheiden und darf auswählen aus dem Menü der Möglichkeiten. Welche wählen Sie?