„Sagen Sie, was macht man eigentlich bei Zickenkrieg?“ fragte mich letzthin Herr A., Geschäftsführer aus der Druckindustrie. „Was meinen Sie damit genau?“ wollte ich wissen. Herr A. erläutert: „Nun, ich habe zwei Mitarbeiterinnen, die einfach nicht miteinander können.
Das fängt schon an bei der Regelung der Klimaanlage. Im Hochsommer sitzt die eine mit Spaghettiträgern im Büro, während die andere eine Strickjacke anzieht. Alle zwei Stunden kommt dann eine der beiden auf mich zu und beschwert sich darüber, dass die andere die Klimaanlage wieder höher bzw. niedriger gestellt hat. Ich habe den Temperaturregler schon in mein Büro verlegen lassen. Das hat den Zickenkrieg aber auch nicht beendet.“
Um eines gleich vorwegzunehmen: es handelt sich hierbei nicht einen Zickenkrieg, bzw. ich weiß gar nicht, was das sein soll. Genau dasselbe „Problem“ begegnete mir vor fast 30 Jahren mit zwei männlichen Protagonisten. 1990. Ich stehe auf der Leiter in der Bibliothek eines Finanzinstituts. Mein Ferienjob bringt es mit sich, dass ich juristische Loseblattsammlungen aktualisiere. Der Leiter Marketing, Herr M., studiert Fachzeitschriften in der Bibliothek. Er trägt ein Tweedjackett und einen Wollschlapphut. In diesem Moment betritt mein Chef, der Leiter Kommunikation, Herr K., den Raum. Er trägt kein Jackett und bewegt sich auf den Temperaturregler der Klimaanalage zu. Es kommt zu folgendem Dialog:
Herr M: „Ach SIE sind das, der die Bibliothek immer in einen Kühlschrank verwandelt? Als ich vor einer Stunde hierherkam, musste ich mir mein Jackett und meinen Hut holen, sonst wäre es ja nicht auszuhalten gewesen. Herr K., ich bestehe darauf, dass der Temperaturregler nicht verstellt wird!“
Herr K: „Herr M., ich weiß nicht, was bei Ihnen nicht in Ordnung ist, dass Sie bei 22° Celsius hier im Wolljackett sitzen. Aber ich kann ja schlecht im Hawaiihemd zur Arbeit erscheinen, nur damit ich in der Bibliothek keinen Hitzschlag bekomme. Sie müssen mir bei der Temperatur schon etwas entgegenkommen.“
Herr M: „Jetzt machen Sie sich nicht lächerlich. Hawaiihemd! Ich bezweifle im Übrigen stark, dass es hier 22° hat. Als ich den Raum betrat, stand der Temperaturregler auf 18°. Ich habe ihn lediglich nach oben gestellt, damit es schneller ein Ende hat mit diesen eisigen Temperaturen. Aber lassen Sie uns das ganze sachlich angehen, was schlagen Sie vor?“
Herr K: „Wie schön, dass auch SIE mal zu einem Kompromiss bereits sind. Einigen wir uns auf die Mitte!“
Herr M: „Na gut, wo ist denn bei Ihnen die Mitte?“
Herr K. deutet auf den Temperaturregler: „Die Mitte ist bei mir senkrecht!“
Ich beiße mir innerlich auf die Wangen, damit ich ob dieses loriothaften Dialogs nicht laut losprusten muss. Dabei kann ich aber nicht verhindern, dass innerlich vor Lachen bebe und muss mich an der Leiter gut festhalten, um nicht herunterzufallen. Hochmut kommt vor dem Fall und so erwischt es mich dann.
„Was sagen Sie denn dazu, Frau Keromosemito?“ möchte Herr K. wissen und bezieht mich in die Diskussion mit ein. Offensichtlich sucht er Verbündete. Da er mein Chef ist, glaubt er sich meiner Unterstützung sicher. Interessanterweise wird mir in diesem Moment gleichzeitig heiß und kalt. Zum Thema Temperatur bin ich damit bestimmt kein kompetenter Ratgeber. Natürlich möchte ich meinem Chef nicht in den Rücken fallen. Herrn M., der als ein mächtiger Mann im Unternehmen gilt, möchte ich aber auch nicht öffentlich kritisieren. Ich antworte auf eine für mich ungewöhnlich diplomatische Art und Weise: „Nun ja, mir ist schon warm, was aber auch daran liegt, dass ich so oft die Leiter rauf- und runtergehe. Wenn man länger sitzt, kann es einem aber schon kühl werden.“ Ich erinnere mich nicht, wie diese Diskussion der beiden Herren ausgegangen ist. Aus Berichten weiß ich, dass die beiden sich ganz unabhängig von der Raumtemperatur bis zu ihrer Pensionierung nie wirklich wohlgesonnen waren.
10 Jahre nach „die Mitte ist bei mir Senkrecht“ lernte ich in meiner Coachingausbildung bei Ulrich Dehner, dass ich als Studentin, ohne es zu wissen, in einem Gerichtssaalspiel mitgewirkt habe. Dies ist ein Psychologisches Spiel, das wiederum ein Konzept aus der Transaktionsanalyse ist. Zwei Personen, die miteinander im Konflikt sind, suchen einen Dritten, der einen Rechtsspruch tätigt. Dabei geht es schon lange nicht mehr um die Sache, sondern vor allem darum, zu beweisen, dass der andere nicht o.k. ist. Ein Psychologisches Spiel wird mit einem Köder eröffnet, den man liegen lassen soll. Wenn der Köder jedoch den wunden Punkt des Spielers trifft, gelingt dies nur schwer. Es läuft dann ein automatisches, vorhersehbares Spiel ab, bei dem es am Ende zwei Verlierer gibt. Es hinterlässt ein ungutes Gefühl. Wie kann man dies verhindern? Sowohl Herr A. als auch ich in der Bibliothek hätten die Verantwortung für die Lösung des Problems bei denjenigen lassen sollen, die das Problem hatten. Doch was tun, wenn das einem nicht leichtfällt? Vielleicht weil man als Führungskraft für Gerechtigkeit sorgen möchte? Der pragmatische Rat ist: lassen Sie‘s. Es ist als Führungskraft nicht Ihre Aufgabe für Gerechtigkeit zu sorgen, auch wenn Sie das glauben. Es funktioniert ohnehin nicht. Vor Gericht bekommen Sie im Übrigen nur einen Rechtsspruch. Ob dieser dann bei Ihnen zu einem Gefühl von Gerechtigkeit führt, sei dahingestellt. Also lassen Sie’s.
Was aber, wenn Sie selbst in dem Konflikt involviert sind? Geht das überhaupt, hier einfach NICHT zu re-agieren? Ja, es ist nur deutlich schwieriger. Mit meiner heutigen Erfahrung als Coach würde ich Herrn K. unter vier Augen fragen: „Was bedeutet es für Sie, wenn Herr M. mit Schlapphut und Wollmütze in der Bibliothek sitzt? Was daran ärgert Sie?“ Vermutlich würde er antworten: „Der macht sich lustig über mich und will mich provozieren“. Eine Provokation ist eine Bedrohung. Diese wiederum löst eine Gegenreaktion aus in Form von Kampf (Hawaiihemd) oder Flucht. Wenn man sich unterlegen fühlt, holt man sich gerne Verstärkung in der Hoffnung, am Ende Recht zu bekommen. Sie sehen dann in dem anderen nur noch den Gegner oder Feind, gegen den Sie nicht Fall verlieren möchte. Das wäre ja noch schöner!
Ich liebe den menschlichen Verstand! Er kann so herrlich kreativ und absurd sein. Wie kann jemand gleichzeitig einen exzellenten Führungsjob machen und das Tragen einer Jacke in eine Provokation einstufen, gegen die man vorgehen muss? Dasselbe gilt übrigens auch für Herrn M. Was wäre daran denn so schlimm, wenn Herr K. zur Arbeit ein Hawaiihemd trüge? Es brächte auf jeden Fall etwas mehr Farbe in den grauen Alltag. Wie ist es möglich, dass Herr K. in Herrn M. einen Gegner sieht und nicht einen Kollegen, der bestimmt auch ein Interesse an einer konstruktiven Zusammenarbeit hat? Und umgekehrt? Wie können beide nicht sehen, dass der Kampf gegen einen Kollegen immer zumindest einen Verlierer hat? Im Zweifel sogar mehrere?
Meine Erklärung hierfür sind unsere Emotionen. Diesen sind wir, besonders wenn wir uns bedroht fühlen und dann nicht aufpassen, wehrlos ausgeliefert. Merke: wenn Sie darum kämpfen, Recht zu bekommen, sind Sie bereits emotional. Sie befinden sich damit im geistigen Zustand eines Fünfjährigen und haben keine Handlungsoptionen als Kampf oder Flucht. Aus diesem Zustand heraus verhalten Sie sich nicht anders als meine Söhne, die sich im Kindergartenalter um den Jetpack einer ihrer Legofiguren stritten. Das ging immer so lange bis dann beide weinend vor mir standen und sich gegenseitig beschuldigten: „DER hat angefangen“. Aus dem Zustand eines Fünfjährigen heraus ist es unmöglich, rational vorzugehen um gemeinsam zu einer tragfähigen Lösung zu kommen, egal wie intelligent der Fünfjährige ist.
Wie kommt man aus diesem Zustand heraus und wird wieder handlungsfähig? Es kann helfen, den Blick nach innen zu wenden und sich zu fragen, wie sich die Provokation körperlich bemerkbar macht. Wo spüren Sie das? Haben Sie eine Wut in Bauch? Bleibt Ihnen die Luft weg? Spüren Sie ein Kribbeln in den Fingern und würden dem Kollegen am liebsten den Hals umdrehen? Falls ja, lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit auf diesen Bereich Ihres Körpers und verweilen Sie dort 5-10 Atemzüge. Was passiert mit dem Gefühl in Ihrem Körper? Verstärkt es sich? Wird es weniger? Bleibt es gleich? Sie werden oftmals feststellen, dass sich das unangenehme Körpergefühl legt. Es gelingt Ihnen dadurch, etwas Distanz zwischen Ihnen und Ihrer Emotion zu schaffen. Die Provokation ist am Ende nichts anderes als ein komisches Ziehen oder eine Enge im Körper. Darauf kann man reagieren, muss man aber nicht. Wenn es Ihnen gelingt, etwas die Geschwindigkeit rauszunehmen, stellen Sie fest, die Emotion fließt ab und hat Sie nicht mehr im Griff. Es stellt sich Klarheit ein. Wenn Sie klar sind, dann entscheiden SIE, was Sie tun und nicht der Fünfjähre in Ihnen. Ich bin mir sicher, Herr A. hätte in einem Zustand von Klarheit den Temperaturregler nicht in sein Büro verlegen lassen.
Aus einem Zustand von Klarheit wäre übrigens sowohl Herrn A. als auch Herrn K aufgefallen, dass es gar kein Problem mehr gab. Derjenige, dem kalt war, hatte sich etwas Wärmeres angezogen. Problem gelöst. Das ist Alles. Keine Notwendigkeit irgendetwas zu tun. Kein Zickenkrieg. Kein Hahnenkampf. Der Wahnsinn im Büro findet in der Regel zwischen den Ohren statt.