„Können Sie für uns dieses Jahr noch 10 Workshops zum Thema Vertrauen machen?“ lautete im August dieses Jahres die Anfrage eines Technologiekonzerns. Diese Anfragen sind einerseits für einen Trainer ein kleiner Jackpot, handelt es sich doch für einen Einzelkämpfer um einen eher großen Auftrag. Andererseits ist der Herbst eine Jahreszeit, in der ich jeden Tag gefühlt dreimal verkaufen kann, da viele Unternehmen am Ende des Jahres noch ihr Weiterbildungsbudget aufbrauchen müssen. Auch mein Kalender war für 2019 schon mehr als gut gefüllt.

Die einzige Möglichkeit, die ich hatte, war meine Surfauszeit im Herbst deutlich zu verkürzen. Die Anfrage schien mir aber interessant. Der Technologiekonzern hatte gerade einen großen Wettbewerber aufgekauft. Es war klar, dass dutzende Arbeitsplätze redundant würden. In diesem Kontext Workshops zum Thema Vertrauen: alle Achtung! Ich fand das ehrlich gestanden etwas irre. Aber es hörte sich gleichzeitig ähnlich verlockend an wie kopfhohe Wellen bei leichtem off-shore Wind. Also setzte ich mich erst mal mit dem Thema „Vertrauen“ auseinander.

Meine erste Assoziation dazu, war das Lied der Schlange Kaa aus dem Disney Klassiker Dschungelbuch: „Trust in me (vertrau mir)“. Irgendwie witzig. Über viele Jahre habe ich Kunden, die mit dem Namen Keromosemito ihre Schwierigkeiten hatten, angeboten, dass sie mich Frau K. nennen können. Seit einiger Zeit lasse ich mich aber von allen duzen. Was soll der Formalismus?

 

Business Bücher – schmissig geschrieben, knackige Kernsätze

Aber ich schweife ab. Vertrauen. Ich besorgte mir das Buch „Schnelligkeit durch Vertrauen“ von Stephen M.R. Covey, das den Geschäftsführer des anfragenden Unternehmens so begeistert hatte und das Anlass für die Anfrage gewesen war. Es ist eines dieser amerikanischen Business-Bücher: schmissig geschrieben, gespickt mit persönlichen Erfahrungen des Autors. CEO der Firma X sagt, CFO der Firma Y denkt. Der Kerngedanke dieser Bücher lässt sich in der Regel in einem Satz zusammenfassen. In diesem Fall war er praktischerweise schon im Titel erkennbar ist: Mit Vertrauen geht es schneller bzw. effizienter. Um Vertrauen aufzubauen, empfiehlt der Autor 13 Regeln wie z.B. sei ehrlich und offen. Zeige Respekt und Anerkennung. Sei den Mitarbeitern gegenüber loyal, etc. Ich kann das, was Covey schreibt, absolut nachvollziehen. Als Basis für einen Workshop, der etwas bewegen soll, erscheint es mir jedoch etwas dünn.

Muss man wirklich erwachsenen Menschen sagen, nach welchen Regeln sie sich zu verhalten haben? Brauchen wir tatsächlich Kontrolleure, die dafür sorgen, dass wir das tun? Offensichtlich glauben das sehr viele, schlaue Menschen. Seit einiger Zeit verwenden Unternehmen viel Energie darauf, eine sogenannte Compliancekultur aufzubauen. Dazu werden Menschen eingestellt, die sich darum kümmern, dass Mitarbeiter und Lieferanten Regeln einhalten. In einem meiner Seminare in Österreich stellte letzthin ein Compliance Officer sich und sein Aufgabengebiet vor. Ein anderer Teilnehmer fasste dessen Tätigkeit folgendermaßen zusammen: „Dei Job is oiso, dafüa zu soagn, dass mia kaan Schaaaß mochen.“ Hochdeutsch: Es ist deine Aufgabe dafür zu sorgen, dass wir keinen Unsinn machen. Ich liebe die tirolerische Sprache und Direktheit. Ein Finanzinstitut, für das ich tätig bin, hat im Übrigen über 80 (!) Compliance Officer beschäftigt. Es schlittert dennoch von einem Skandal in den nächsten. Das Vertrauen in dieses Finanzinstitut ist vollkommen dahin, trotz all der Bemühungen um Compliance.

 

Regeln gibts genug und eigentlich kennen wir die auch. Hilft aber nix.

Wie wäre es stattdessen, sich damit auseinanderzusetzen, warum Mitarbeiter und Führungskräfte sich nicht an Regeln halten? Ehrlichkeit z.B. ist ja für viele Kulturen einer der Werte schlechthin und scheint für das menschliche Miteinander irgendwie bedeutsam zu sein. „Wer einmal lügt, dem traut man nicht, auch wenn er dann die Wahrheit spricht“, das haben wir in der Kindheit schon gelernt. Und dennoch ertappen wir uns immer wieder dabei, dass wir nicht die Wahrheit sagen. Wir halten uns bedeckt. Wir weichen aus. Wir hoffen, dass keiner nachfragt. Manchmal lügen wir. Im Unternehmen rechtfertigen wir dies z.B. damit, dass wir keine unnötige Unruhe hervorrufen möchten, da die Information ja noch nicht spruchreif ist.

Als mein älterer Sohn eingeschult wurde, meldete ich ihn auf seinen Wunsch zum Blockflötenunterricht an. Dieser fand mittwochs nach dem regulären Unterricht in der Grundschule statt. Am ersten Mittwoch kam er dennoch nach der sechsten Stunde nach Hause. Ich fragte ihn, was mit dem Flötenunterricht sei und er antwortete, die Lehrerin sei krank. So ging das über mehrere Wochen. Nach vier Wochen fragte ich ihn, was die Lehrerin denn für eine Krankheit habe und wann der Unterricht denn nun beginnen würde. Da kullerten dicke Tränen über sein Gesicht und die Wahrheit purzelte unter Schluchzen aus ihm heraus. Er hatte am ersten Tag den Raum, in dem der Unterricht stattfand, nicht gefunden und traute sich nun nicht mehr hinzugehen. Ich nahm meinen Sohn in den Arm und er weinte immer weiter. Dabei fragte er: „Mama, warum tut das so weh, wenn man nicht die Wahrheit sagt?“

 

Unser „Mind“ weiß, was richtig ist. Unser Gehirn findet zahlreiche Gründe dagegen.

Ron W. Rathbun unterscheidet in seinem Buch „The Kelee“ zwischen der Gehirnfunktion und der „Mind“-funktion. In unserem Gehirn speichern wir Informationen, Wissen und Regeln. Mit diesem denken und glauben wir. Wir erklären, warum wir uns auf eine bestimmte Art und Weise verhalten und wir rechtfertigen unser Tun. Unser „Mind“ ist der Teil in uns, der intuitiv weiß, was richtig oder falsch ist. Laut Rathbun muss nichts, was wahrhaft ist, jemals verteidigt werden. Er unterscheidet zwischen Knowledge, das wir im Kopf oder Gehirn abspeichern und dem „Knowing,“ das sich im „Mind“ befindet. Der Mind wird in der Mitte der Brust lokalisiert, dort wo es sich nicht gut anfühlt, wenn wir lügen. Die Stelle, die sich verengt, wenn wir Angst haben. Mein Sohn wusste im Alter von sechs Jahren, dass es nicht in Ordnung ist, zu lügen. Man musste ihm das nicht erklären. Er spürte dies als Schmerz und tat es trotzdem,

 

Intelligenz ohne Weisheit

Der Treiber dafür, dass wir nicht die Wahrheit sagen, ist in der Regel Angst (in der Wirtschaft kommt auch noch der Faktor Gier dazu). Angst den anderen zu verletzten. Angst vor der Konsequenz dessen, was man sagt usw. Aus einem angstgetriebenen Zustand machen wir oft dumme Sachen. Wir verhalten uns auf eine Art und Weise, die im Nachhinein echt dämlich erscheint. Wie der Volksmund uns lehrt, haben Lügen kurze Beine. Oder um noch mal Ron W. Rathbun zu zitieren: Intelligenz ohne Weisheit ist oft ein Schritt vor der Dummheit.

Meine feste Überzeugung ist, wenn man ein Umfeld schaffen möchte, in dem Vertrauen herrscht, gelingt das nur, wenn jeder Einzelne konsequent daran arbeitet, mit seinen eigenen Ängsten vernünftig umzugehen. Im Idealfall gehen die Führungskräfte mit gutem Vorbild voran. Gerade in Zeiten, in denen Arbeitsplätze abgebaut werden, halte ich das für zentral.

 

Hirn und Herz miteinander verbinden

Basierend auf dieser Idee habe ich ein Konzept für den Technologiekonzern entwickelt. Es ist dabei nicht mit einem eintägigen Workshop getan. Es gilt vielmehr eine Praxis zu etablieren, in der Hirn und Herz miteinander verbunden werden, in der jeder immer wieder konsequent sein eigenes Tun reflektiert und sich fragt:

  • Ist das richtig, was ich hier tue?
  • Fühlt sich das gut an?
  • Oder habe ich das Gefühl, dass ich mein Tun rechtfertigen muss?
  • Habe ich wirklich ein reines Gewissen?

Beantwortet man diese Fragen mit Nein, lautet die simple Empfehlung: dann mach es anders. Wenn man in sich hineinspürt und bei klarem Verstand ist, weiß man, was richtig ist. Wenn man sich nicht traut sich anders zu verhalten, lohnt es sich zu fragen: „Was ist die Sorge, die Dich davon abhält?“ Mit dieser gilt es sich dann auseinanderzusetzen. Es lohnt sich. Jeder fängt bei sich selbst an und praktiziert. Täglich! Anders geht es nicht. Man kann dadurch im Unternehmen viele Kontrollen und Kontrolleure einsparen. Auf individueller Ebene hat es den großen Vorteil, dass einem dadurch das eigene Leben sinnvoller erscheint. Und das fühlt sich echt gut an.

 

Am Ende immer ein gutes Gefühl

Der Technologiekonzern hat sich übrigens für einen anderen Trainer entschieden. Mein Konzept oder ich als Person waren dem Kunden zu disruptiv. Vor einige Jahren hätte dies mich noch sehr verletzt. Ich hätte gedacht, ich sei nicht gut genug. Mit diesem Gefühl setze ich mich seit Jahren intensiv auseinander und übe mich darin, es loszulassen. In diesem Fall äußerte es sich in Ärger darüber, dass ich ein Wochenende für die Erarbeitung des Konzepts umsonst investiert hatte. Dieser verauchte aber sehr schnell. Ich vertraue darauf, dass der von mir sehr geschätzte Kunde einen kompetenten Trainer gefunden hat, der ihn so unterstützt, wie das für ihn richtig und stimmig ist.

Für mich war es wie immer die beste Entscheidung. Statt Workshops in Deutschland durchzuführen, konnte ich meine Surfauszeit in meiner geliebten Algarve genießen und an meinem Cutback arbeiten. Von diesem bin ich nach wie vor Lichtjahre entfernt. Aber man mag es glauben oder nicht. Ich habe mein erstes Barrel gesurft. Fühlt sich das gut an? Jaaaaaaa! Vertrau mir, mein Name ist K.

photos by: Tristan Page @portugalsurfshots

surfer in the barrel: Surfguide Algarve’s Niels Labrujière