„Warum hört unser Management nicht auf uns, wo wir doch die Erfahrung haben und wissen, wie es geht?“ fragte mich vor einiger Zeit ein Teilnehmer meines Expertenprogramms. In Kooperation mit dem Kunden habe ich 2016 für einen internationalen Luxusartikelhersteller ein Programm entwickelt, das Experten darin stärkt, ihre Standpunkte überzeugender zu vermitteln. Ziel hiervon ist es, mehr Expertise in Managemententscheidungen nutzen zu können. Es sollen weniger politische Entscheidungen getroffen, weniger die lauten Stimmen gehört werden, sondern mehr diejenigen derer, die sich intensiv mit der Materie beschäftigen.

 

Expertenmeinung ignorieren – dem Prophet im eigenen Land nicht glauben

Als Beraterin und Coach bewege ich mich seit 25 Jahren in den Konzernwelten. Nach wie vor verblüfft es mich, dass das Management eher auf Berater hört als auf die eigenen Mitarbeiter, die sich seit Jahren mit einer Thematik auseinandersetzen. Gilt der Prophet im eigenen Lande nichts? Und wie effizient wäre das, wenn man das Wissen der Experten besser nutzbar machte? Dieses Thema und damit auch das Expertenprogramm sind mir eine absolute Herzensangelegenheit. Deswegen tat es mir auch sehr weh, als dieses wie so viele Präsenzveranstaltungen der Corona-Pandemie zum Opfer fiel.

  • Eine internationale Gruppe physisch zusammenbringen? Aufgrund von Reisebeschränkungen ein Ding der Unmöglichkeit!
  • Körperlich Arbeiten an Präsenz und an Selbstsicherheit? Puuuh.
  • Emotionen kanalisieren üben per zoom? Na bitte, ned!

Aber gut, im Leben kann man ja nix forcieren. Was bleibt einem anderes übrig als das Beste draus machen? Ich ging also viel surfen und dann war da noch der epische Austausch mit meinem wiedergefundenen Freund und Kollegen, Jonathan. Jonathan und ich teilen zwei Leidenschaften: das Entwickeln pragmatischer Ansätze zur Organisationalen Veränderung und das Kochen. Ende Oktober hatten wir die grandiose Idee, Gans zuzubereiten. Ich wollte diese spontan am 24.10. bei Wild & Geflügel erstehen, einem etablierten Fachgeschäft in der Kölner Südstadt. Die Verkäuferin schaute mich irritiert an, als ich nach einer Gans frug und erklärte mir, dass es diese erst zu St. Martin gebe. Sie könne mir aber eine Ente anbieten. Da diese aber deutlich kleiner sei als eine Gans, schlug sie mir vor, neben der Ente noch zwei Entenkeulen zuzubereiten. Sie empfahl: „Stecken sie die Entenkeulen in die Ente. 30 Minuten vor Ende der Bratzeit holen sie diese aus der Ente heraus uns legen sie in den dann offenen Bräter“. Ich wiederholte die Instruktion, um sicher zu gehen, dass ich sie richtig verstanden hatte.

 

Ego oder Unsicherheit – Handeln wider besseres Wissen

So weit so gut. Als es aber an die Zubereitung der Ente ging, schauten Jonathan und ich uns zweifelnd an und waren uns sicher: „Was für ein Blödsinn! Das machen wir nicht. Entenkeulen in die Ente stecken? Auf keinen Fall!“ Stattdessen bereiteten wir die Keulen separat zu. Jonathan und ich funktionieren in der Küche gemeinsam wie ein Uhrwerk. Pünktlich stellten wir die Ente auf den Tisch. High-five! Die Ente war auch wundervoll zart und knusprig. Bei den Keulen hatten wir jedoch die Garzeit komplett falsch eingeschätzt. Nachdem mein Sohn 10 Minuten mit leidender Mine auf der zähen Keule herumgekaut hatte, dämmerte mir, dass der Rat der Verkäuferin ein kluger gewesen ist. Insgeheim bat ich sowohl meinen Sohn als auch die Verkäuferin um Verzeihung. Was haben wir dem Kind und den qualitativ hochwertigen Entenkeulen da angetan? Und liebe Verkäuferin, ich versichere, es hat nichts mit mangelndem Respekt Ihnen gegenüber zu tun, dass wir ihrem Rat nicht gefolgt sind. Wir haben einfach nicht aufgepasst.

Jonathan meinte am nächsten Tag kleinlaut: „Wir hätten auf die Verkäuferin hören sollen!“ Früher hätte ein derartiges Erlebnis eine Tirade an Selbstvorwürfen bei mir hervorgerufen. Selbst wegen so einer Lappalie hätte ich mich fertig gemacht. Seitdem ich mit Matt Griggs arbeite, ist mein Mantra: „Be kind to yourself“. Mit Matt praktiziere ich Kelee Meditation und „detachment“. Vergangenheit und Ärger loslassen ist so befreiend und so sagte ich zu Jonathan: „Weißt du, eigentlich war das doch die BESTE Lernerfahrung!“

 

Irrtümer sind das Beste  – denn aus Erfahrung wird man klug

Jonathan, verstand wie immer sofort, was ich meinte: „Das machen wir nie wieder! Lektion gelernt. Demnächst hören wir auf die Leute, die wirklich Ahnung haben.“ Einstein soll mal gesagt habe: „Lernen ist Erfahrung. Alles andere ist nur Information.“ So einfach.

Wenige Tage nach Entenkeulengate hatte Thorsten, der Leiter Vertrieb eines sehr erfolgreichen Unternehmens einen Coaching-Termin bei mir. Er klagte mir sein Leid über seinen neuen CEO, der seit einem halben Jahr das Unternehmen leitet. Der CEO zweifelte an Thorstens Vertriebsstrategie, obwohl die Umsätze sogar 2020 gewachsen waren und dem Unternehmen eine wie immer zweistellige Rendite beschert hatte. Statt das bewährte regionale Konzept weiterzuführen, baute der CEO auf eine lokale Strategie.

Thorsten war darüber fast verzweifelt: „Lara, ich habe mit Engelszungen auf den CEO eingeredet, ihm erklärt, dass wir das schon mehrfach probiert haben, es aber nicht funktioniert. Er will einfach nicht auf mich hören. Jetzt muss ich auch noch einen Teil meiner Mitarbeiter für diesen Schwachsinn abstellen!“ Thorsten wurde immer wütender.

Ich fragte ihn: „Was bedeutet es für Dich, dass dein CEO nicht auf dich hört?“
Thorsten: „Das ist respektlos und ignorant!“
Ich erwiderte: „Das ist eine Möglichkeit. Die andere ist, dass wir manchmal einfach Sachen selber ausprobieren müssen, um zu verstehen, dass sie nicht funktionieren.“

Ich erzählte Thorsten die Entenkeulen-Geschichte. Wir lachten herzlich.

 

Nimm es persönlich – und leide!

Ich: „Thorsten, Du kannst die Vorgehensweise deines CEOs persönlich nehmen. Die Frage ist, „Wer leidet?“
Thorsten: „Ich!“
Ich: „Du kannst dagegen rebellieren, gegen Deinen Chef kämpfen. Du könntest aber auch verstehen, dass Du ihn nicht stoppen kannst.“
Thorsten: „Aber das kostet das Unternehmen eine Menge Geld.“
Ich: „Wie hoch war noch mal die Rendite bei Euch?“
Thorsten: „20%“
Ich: „Wie viel wird sie wohl sinken, wenn ihr für ein Jahr auf das lokale Konzept setzt.“
Thorsten: „Auf 15%.“
Ich: „Deine Berechnung mag korrekt sein, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass du deinen Chef nicht kontrollieren kannst. Die einzige Form von Kontrolle, die wir haben, ist Selbstkontrolle“.
Thorsten: „Soll das etwa heißen, ich soll einfach aufgeben?“
Ich: „Was wäre eine weise Entscheidung?“
Thorsten zweifelnd: „Aufhören zu kämpfen?“
Ich: „Wie oft hast DU es denn mit einem lokalen Konzept versucht, bis dir klar wurde, dass es nicht funktioniert?“
Thorsten: „Ein paar mal.“
Ich: „Aus Erfahrung wird man klug. Wie wäre es, wenn Du Deinem CEO, dieselbe Chance geben würdest, die Du hattest?“

 

Detachment – das Gehirn aus der Verbeissung lösen

Thorsten entspannte sich sichtlich. Unser Gehirn ist ein brillanter Problemlöser. Nur manchmal verbeißt es sich in Probleme, die von uns nicht lösbar sind. Detachment heißt auch, diese loszulassen, die Realität akzeptieren und weise mit der Situation umzugehen. Thorsten ist einer dieser klugen Coachees, die das verstehen. Ein Privileg, mit so jemanden arbeiten zu dürfen. Er berichtet, dass es ihm seit dem Coaching leichter fällt, manche Entscheidungen seines CEOs weniger persönlich zu nehmen. Es ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen zwischen den beiden, aber es unterstützt Thorsten darin, unnötige Kämpfe sein zu lassen. Das hat etwas mit Weisheit und Effizienz zu tun. Noch habe ich keine Information darüber, ob der CEO das auch wahrnimmt. Ich wäre sehr an seiner Erfahrung interessiert.

Vor dem Lock-Down hatte ich jedoch einen Feedback-Runde mit den Managern, deren Mitarbeiter das Expertenprogramm besucht haben. Mich interessierte, inwieweit sie Veränderungen bei ihren Mitarbeitern wahrnahmen. Es meldetet sich ein Manager, nennen wir ihn Peter zu Wort: „Mein Mitarbeiter, der Daniel hat gesagt: ich habe gelernt, dass ich nicht so hart sein soll mit mir.“ Peter machte eine Pause. „Und dass ich auch nicht so hart sein soll mit dir, Peter.“ Meine Hoffnung ist, dass es auch Peter dadurch leichter fällt, in den richtigen Situationen auf seinen Mitarbeiter zu hören, denn der weiß, wie es geht. Der hat echt Ahnung.